…und Mann im Reitsport – einer, wie wir alle wissen, etwas eigenen Welt und beherrscht vom weiblichen Geschlecht. Christopher erzähl mal, wie ist das so?

Die Anfänge

Meist fängt man(n) ja doch in jungen Jahren mit dem Reitsport an. Nicht ich, ich habe mit 47 damit angefangen – und nach einem dreiviertel Jahr nicht bereut. Wie ich dazu gekommen bin? Über Umwege, wie man an so vieles im Leben kommt. Zuletzt hatte ich im Kindesalter auf einem Pony gesessen. Damals diese bedauernswerten Wesen, die auf Rummelplätzen stupide unter dem Zeltdach ihre Runden drehen. Und vorweg: ich mag alles, was Fell und vier Beine hat, und nicht gerade winzig ist.

„Schuld“ daran ist Sandra, die Tochter meiner Partnerin, die ihre ersten Lebensjahre im Sauerland verbracht hat, in einem kleinen Ort, direkt um die Ecke zu einem Reitstall. Als meine Partnerin mit ihren Kindern nach Frankfurt gezogen ist, hatten wir uns gemeinsam auf die Suche nach einem Reitstall mit Reitunterricht gemacht. Diverse Reitställe in und um Frankfurt waren Ziel unserer Suche. Mal mit mehr, mal mit weniger Eifer. Zu der Zeit war ich selbst noch aktiver Sportbowler und konnte mir nicht vorstellen, diesen Sport jemals aufzugeben. Wie es aber so kommt, nach über 25 Jahren Sportbowling ist doch eine gewisse Sättigung erreicht.

Vergangenes Jahr, genauer gesagt, Anfang 2014, machten wir uns erneut auf die Suche nach einem Reitstall. Gelandet waren wir im Frankfurter Reit- und Fahrclub. Wir hatten einen Termin zu einer Probestunde vereinbart. Da ich im Sportbowling selbst ausgebildeter Übungsleiter bzw. Privattrainer bin, wurde ich gebeten, Sandra zu begleiten, um ihr beratend zur Seite zu stehen, wie ich das Auftreten der Reitlehrerin und ihre Methodik beurteile. Und ich durfte mit Freude feststellen, dass mir ihre Art und Weise sehr gefiel und damit war ein Stall für Sandra gefunden.

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Im Frühsommer 2014 geschah es nun, dass ich das gute Wetter nutze und Sandra zum Tag der offenen Stalltür begleitete. Der Reitstall präsentierte sich mit Demonstrationen zur Bodenarbeit und zum Gelassenheitstraining sowie für die kleinen Besucher Ponyreiten auf den Außenplätzen. Wegen aufkommenden Windes habe ich mich nützlich gemacht und den ständig wegrollenden Gymnastikball ‚betreut‘ und bei der Bodenarbeit mit den Schulpferden gespielt. Auch beim Ponyreiten schaute ich fasziniert zu. Da hat es mich wohl gepackt! Was auch der Reitlehrerin aufgefallen war und sie rechnete wohl damit, dass ich mich auch beim Ponyreiten anstellen würde. Später im Büro der Reitlehrerin bat ich um einen Termin für eine Reitstunde. Bei der Gelegenheit erzählte sie mir, dass sie damit gerechnet hat und mir für das ‚Ponyreiten‘ auch ein Großpferd aus dem Stall geholt hätte. Aber das hatte sich ja nun erübrigt. Die Lust auf was Neues hatte mich gepackt!

Vom Sportbowler an die Longe

Meine Art ist, wenn ich was mache, dann soll es Hand und Fuß haben. Es hieß, für den Anfang würde eine Sporthose und Schuhe mit Absätzen genügen, Helm stellt der Verein zur Verfügung. Nicht so für mich. Es reicht mir nicht, mich mit Provisorien zu begnügen. Als nächstes stand also ein kleiner Trip zum nächstgelegenen Reitsportladen auf dem Programm: Loesdau. Auf dem Einkaufszettel: Reithose und geeignetes Schuhwerk. Den Helm stellte der Verein zur Verfügung und das hatte ich für den Anfang akzeptiert, da diese regelmäßig kontrolliert werden. Es dauerte aber nicht lange und ich besorgte mir meinen eigenen Helm, damit das lästige Suchen und Einstellen auf meine Größe entfällt.

Gastpost_Christoph-Fairy Tale

Fairy Tale

Zwei Wochen später war es soweit: meine erste Reitstunde. Von Sandra wurde ich eingewiesen: Halfter anlegen, führen, korrekt anbinden, putzen, satteln und aufzäumen. Am Anfang dachte ich mir schon hin und wieder: „Wer soll sich das denn alles merken?“ Mein erstes Schulpferd ‚Fairy Tale‘ war die ‚perfekte‘ Partnerin für mich, eine Stute, 1,80 Stockmaß, gutmütig und nachsichtig mit Reitanfängern. Dennoch, irgendwann passierte auch mir das unvermeidbare: unfreiwilliger Bodenkontakt. Aber das gehört dazu, hinfallen, aufstehen, Krone zurecht rücken und weiter geht’s. Naja, ganz so schnell ging‘s dann doch nicht. Ich bin zwar an dem Tag wieder in den Sattel gestiegen, danach war aber erst einmal sechs Wochen Pause wegen einer Rippenprellung und einem angeknackstem Jochbein. Nachdem alles auskuriert war ging es erst erneut zu Loesdau, eine Sicherheitsweste zulegen.

Ansonsten war Fairy Tale für mich die Richtige. Mit meinen Ungeschicklichkeiten war sie extrem nachsichtig und geduldig. Ich hatte den Eindruck, sie spürte, „der bemüht sich, das wird schon noch“. Von Reitstunde zu Reitstunde wurde mein Umgang mit Fairy Tale zusehends sicherer. Kuriosität am Rande: von anderen aus dem Reitverein hatte ich vernommen, Fairy Tale sei zickig und bockig, gerade auch beim Putzen und Satteln, sie würde auch gerne mal nach hinten auskeilen, wenn jemand hinterrücks an ihr vorbeiginge. Nichts dergleichen habe ich mit ihr erlebt.

Anfänglich teilte ich den Termin der freitäglichen Reitstunde mit Sandra im wöchentlichen Wechsel, also hatte ich nur alle 14 Tage das Vergnügen einer Reitstunde. Doch nach den Sommerferien hatte sich etwas geändert, denn Sandra wechselte von der Einzelstunde in die Gruppenstunde, dadurch hatte ich die Gelegenheit, nun wöchentlich auf Fairy Tales Rücken Platz zu nehmen. Mein Wunsch nach Fortschritt wurde wahr. Natürlich hat der nunmehr wöchentliche Rhythmus auch darin sein positives, dass ich das, was neben dem puren Reiten noch dazu gehört, also das putzen, satteln und auftrensen, festigte und ich souveräner damit umgehe. Inzwischen weise ich gelegentlich bereits neue Reitschüler ein, wie das alles funktioniert. Natürlich kommt man dann auch hin und wieder mit neuen und auch deutlich jüngeren Reitschülern ins Gespräch und erntet überraschte Gesichter, wenn man offenbart, dass man selbst erst vor 9 Monaten damit angefangen hat. Dann schießt auch mir manchmal der Gedanke durch den Kopf, dass mein Gegenüber wohl auch denkt,wenn der ‚alte Mann‘ das kann, dann kann ich junger Hüpfer das wohl erst recht“. Und soll ich was verraten? Dieser Gedanke, dass mein später Anfang andere beflügelt und anspornt, erfüllt mich auch in gewisser Weise mit Stolz und treibt auch mich an, weiter und weiter an mir zu arbeiten und zu lernen.

Goodbye Longe – Welcome Geisterecke

Inzwischen bin ich bzw. mein vierbeiniger Begleiter von der Longe befreit. Meine Reitlehrer haben auch gewechselt. Meine erste musste leider gesundheitsbedingt aufhören und meine darauf folgende Reitlehrerin hat kurz nach Übernahme der Reitstunde entschieden, ich sei nun weit genug ohne Longe im Viereck zu reiten. Auch Fairy Tale ist vom Reitunterricht befreit worden, so dass ich auf verschiedenen anderen Schulreitpferden Platz nehmen durfte. Dieser Wechsel der Reitpferde hat mir deutlich die Unterschiede aufgezeigt. Bernstein hörte mehr auf meine Reitlehrerin als auf mich, klar, ich bin ja mit meinen Hilfen auch noch nicht souverän und wohldosiert, aber vermittelte mir das Gefühl für Rhythmus und Bewegung in den verschiedenen Gangarten. Eine Macke bei ihm fiel mir aber recht schnell auf: die ‚Geisterecke‘. Mein nächster Ansporn: Bernstein soll mir soweit vertrauen, dass er kein Problem mit mir und seiner ‚Geisterecke‘ hat, mir vertrauen kann, dass ihm da nichts passiert. Einige Stunden später, meine Reitlehrerin lies mich frei mit Bernstein in der Halle umher reiten, und Bernstein und ich hatten uns besser kennen gelernt. Und ich schätze, Bernstein hat gemerkt, dass er zusammen mit dem Zweibeiner auf seinem Rücken keine Angst vor der Geisterecke haben braucht. Das Gefühl, dass das Tier einen akzeptiert und die Nähe spürt, ist unbeschreiblich und erfüllte mich mit Stolz. Stolz, der mich weiter antreibt.

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Aquitano

Inzwischen bin ich bei Aquitano ‚gelandet‘, einem Brandenburger Warmblut. Bisweilen etwas eigensinnig und impulsiv. Aber Tiere sind ja auch nur Menschen. Vom Typ her verlangt Aquitano Durchsetzungsvermögen, aber fein dosierte Hilfen. Denn mit Aquitano durfte ich erstmals einen unfreiwilligen Galopp erleben, weil ihm eben danach war – und ich die Hilfen zu unplatziert und zu heftig gab. Ich spürte aber auch, dass er mich nicht ernsthaft in Gefahr bringen wollte, mich nicht als Ballast empfand, dass es loszuwerden galt. Eine lange Bahn und ich konnte ihn bis zum Schritt parieren. Aquitano fordert mich, zu lernen und nochmals zu lernen, mich ja nicht ausruhen.

Auch trotz einiger Rückschläge, sowie unfreiwilligen Bodenkontakt in der Anfangszeit, ich bereue bis heute meine Entscheidung nicht, meiner Neugierde gefolgt zu sein. Das Gefühl, mit 600 kg lebender Masse unter dem Hintern eine Verbindung einzugehen, ihr zu vermitteln, nicht ein Sklave zu sein, sondern gemeinsam Spaß zu haben, ist unbeschreiblich. Inzwischen wurde ich von meiner Reitlehrerin für Gruppenreitstunden-geeignet befunden, sprich, ich muss mir ihre Aufmerksamkeit teilen. Dies gibt mir aber auch die Möglichkeit, mein bisher Erlerntes zu festigen. Demnächst werden die Einheiten verdoppelt.

Als Mann in einer Frauenwelt

Im Verein selbst bin ich als Mann in der Minderheit. Hier spiegelt sich dann doch das Klischee, dass Reiten Mädchen- oder Frauensache ist. Mit Klischees habe ich aber so mein Problem. Letztendlich ist es wie fast überall, wo Vorurteile und althergebrachte Bildnisse vorherrschen: da ist nichts dran. In meinem Bekanntenkreis wurde mein Wechsel durchweg positiv aufgenommen, aber selbst dort bildet der weibliche Anteil die Mehrheit der Pferde- und Reitsportbegeisterten. Von meinen Geschlechtsgenossen natürlich auch das Vorurteil, das Reiten kein Sport sei. Ich sehe mich auch hier in dem Kreise derer, die entgegnen: drauf setzen und besser machen.

Von den doch immer noch vorhandenen Geschlechterrollen halte ich nicht viel. Genauso, wie Hausarbeit für mich etwas selbstverständliches ist. Ich koche zum Beispiel leidenschaftlich gerne, aber nicht nur das, auch Waschen und Putzen ist etwas völlig natürliches. Und so sind alle anderen Sachen für mich auch nicht etwas auf ein Geschlecht gemünztes. Dennoch bin ich in gewisser Weise ein Exot, als Mann und dann auch noch in ‚gesetzterem‘ Alter mit dem Reitsport begonnen zu haben. Und ich bin froh, diesen Schritt gegangen zu sein.

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