Eine Weihnachtsgeschichte – von Björn


Auf dem Weg ins Dorf

Mammut und Plätzchen kamen währenddessen mächtig ins Schwitzen. Der Schnee war locker und sie sanken beim jedem Schritt tief ein. Der Schlitten hinterließ eine tiefe Furche im Schnee, die sogleich von neuen Flocken in Beschlag genommen wurde. Ihre Körper dampften und waren so warm, dass die Flocken schon schmolzen bevor sie ihr Fell erreichte. Mammut führte sie auf zweibeinergemachten Wegen, die aber schon lange nicht mehr geräumt worden waren und sich kaum noch von den Wiesen und Feldern der Umgebung abhoben. Als sie an einer Weggabelung angekommen waren, hielten sie an einer gewaltigen Tanne an, die unter der Schneelast und den Windböen sich ächzend von einer Seite auf die andere bog.

„Was ist los Mammut?“, fragte Plätzchen und seine Worte waren kaum zu verstehen, da er das Seil beim Sprechen weiter im Maul behielt. Er hatte schnell bemerkt, dass man das Seil nicht mehr so schnell loslassen sollte wenn er es einmal in einer guten Position zwischen die Zähne gebracht hatte.

„Alles in Ordnung bei euch da vorne?“, wieherte auch Linchen ein paar Meter hinter ihnen. Linchen war froh die Nachhut zu bilden, denn der Schnee war durch ihre beiden großen Freunde und den Schlitten bereits platt gedrückt. Das machte es Linchen leichter mit ihren zwar kräftigen aber kurzen Beinen Anschluss zu halten. Außerdem musste sie nicht den Bauch so einziehen, damit er nicht die ganze Zeit auf dem kalten Schnee entlang schliff. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sich Linchen vornahm im nächsten Jahr weniger zu fressen. Ein bisschen zumindest. Es war so düster, das sie Plätzchen und Mammut kaum erkennen konnte, obwohl diese nur einige Pferdeschritte entfernt standen.

Mammut ließ das Seil los.

„Ab hier gibt es zwei Möglichkeiten. Wir können rechts weiter den Weg folgen, der sicher in das Dorf führen wird, oder…“, er machte eine kurze Pause.

„Oder?“, hakte Plätzchen nach.

„Oder wir gehen links eine Abkürzung. Das wird uns die Hälfte des Weges ersparen. Jedoch kenne ich den Weg nicht besonders gut. Ich weiß nicht ob ich ihn in der Dunkelheit wiederfinde. Ich weiß auch nicht wie anstrengend er wird.“

Linchen war inzwischen nach vorne gekommen und auch Meicka hatte den Kopf unter der Decke hervorgesteckt.

„Ich habe das Gefühl es geht Franz immer schlechter. Er ist sehr blass und seine Atmung ist sehr flach. Er braucht Hilfe ganz, ganz schnell.“, sagte sie besorgt und zeigte damit, dass sie sich bereits für die Abkürzung entschieden hatte. Plätzchen schaute Mammut und Linchen an und merkte an ihrem Blick, dass sie alle einer Meinung waren.

„Wir nehmen die Abkürzung. Wir müssen es riskieren.“, sagte er und sie zogen links an der Tanne vorbei. Zuerst merkten sie fast keinen Unterschied zu dem Weg, den sie bisher genommen hatten. Doch bald wurde der Untergrund unebener und der Schnee höher. Einmal schien es, dass sie in einer Schneewehe stecken geblieben waren. Nur durch die Hilfe Linchens, die den Schlitten von hinten anschob schafften sie es sich zu befreien. Selbst Meicka war abgestiegen um das Gewicht zu verringern. Und das obwohl sie augenblicklich bis zum Bauch im Schnee versank. So arbeiteten sie sich vorwärts. Doch dann war Schluss. Nichts ging mehr. Der Schlitten hatte sich festgefahren. Alle drei Pferde und ein Hund versuchten ihn aus dem Schnee zu befreien, doch nach anfänglichem Erfolg blieb der Schlitten nach wenigen Schritten wieder stecken. Mammut ließ das Seil aus dem Maul fallen.

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Ungeplante Hilfe

„Und jetzt?“

Alle standen vor dem Schlitten und sahen Franz an, der immer noch bewusstlos war und dessen Haut mittlerweile ein wachsiges Aussehen angenommen hatte. Linchen hob die Nüstern in den Wind. Doch da war überall nur Schnee und eine beißende Kälte in der Nase. Auch Plätzchen wusste keinen Rat mehr. Meicka hatte sich neben Franz gestellt und begonnen sein Gesicht zu lecken.

„Das wars! So kurz vor dem Ziel!“, sagte Linchen und ihr war zum Weinen zumute. Selbst Mammut blickte völlig apathisch in die Dunkelheit. Plötzlich blickte Linchen auf. Was war ihr da in die Nase gekommen? Sie hob die Nüstern in den Wind und sog die Luft ein. Schnee und Kälte und dann war da noch was. Oder doch nicht? Jetzt war es weg. Jetzt wieder da. Ach wenn doch dieser Wind nicht wäre, dachte sich Linchen. Mammut und Plätzchen waren auf Linchens Verhalten aufmerksam geworden.

„Riechst du etwas, Linchen?“, fragte Plätzchen.

Und ohne zu antworten, wieherte Linchen zu einer kleinen Baumgruppe in der Dunkelheit. Mammut und Plätzchen schauten in die gleiche Richtung und konnten ihren Augen nicht trauen. Langsam wurde ein Schatten hinter den Bäumen sichtbar, der in ihre Richtung kam. Je mehr er sich näherte wurde ihnen bewusst, dass dieser Schatten groß war, vier Beine hatte und ein weißes Fell trug.

„Degusa!“, wieherten alle drei. Auch Meicka hatte aufgeschaut und blickte Degusa verblüfft an.

„Wir haben keine Zeit zum Reden!“, sagte sie.

„Wie kommst du hierher?“, fragte Linchen und konnte es immer noch nicht ganz fassen, dass in diesem Moment Degusa vor ihr stand.

„Ich bin euch die ganze Zeit gefolgt. Einige Male hätte ich eure Spur bei dem Schneefall und in der Dunkelheit beinahe verloren. Ich musste ja ausreichend Abstand halten, damit Linchen mich nicht mit ihrer guten Nase erschnüffelt.“

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Beim letzten Satz hatte sie zu Linchen geschaut und ihr fast unbemerkt zugezwinkert. Oder war es nur Schnee der in ihr Auge geflogen ist?

„Aber zum Glück habe ich ganz gute Ohren und ihr so ein lautes Schnaufen.“

„Aber warum…?“ fragte Linchen weiter und Degusa antwortete bereits sichtlich genervt.

„Denkst du ihr seid die einzigen denen Franz etwas bedeutet? Ich bin halt wie ich bin. Das musst du nicht verstehen.“

Da war sie wieder, die alte Degusa, dachte sich Plätzchen.

„Der Schnee ist zu hoch. Alleine schaffen wir es nicht. Ich sage es nur ungern, aber du kommst wie gerufen.“, sagte Plätzchen und er meinte es wirklich ernst.

Degusa ging schweigend zur Vorderseite des Schlittens und suchte das Seil, nahm es ins Maul und schaute Plätzchen auffordernd an. Plätzchen und Mammut taten es ihr gleich.

„Auf drei!“, sagte Plätzchen so verständlich und laut wie er konnte, mit einem Seil im Maul, „Eins, zwei, drei, los!“

Degusa, Mammut und Plätzchen zogen an dem Seil und Linchen schob von hinten. Meicka war wieder abgestiegen und betrachtete die gemeinsame Kraftanstrengung aus einigen Schritten Entfernung. Erst tat sich nichts. Doch mit einem Ruck löste sich der Schlitten aus der eisigen Umklammerung des Schnees und ließ sich ziehen. Und tatsächlich schafften sie es den Schlitten aus dem hohen Schnee herauszuziehen. Ab da an ging es leichter. Insbesondere auch weil sie jetzt ein PS mehr waren. Jedoch wurde es zunehmend schwieriger für sie die Orientierung zu behalten. Schwere, dunkle Wolken waren vor den Mond gezogen und hatten auch den letzten Rest an Licht geschluckt. Die Bäume wirkten wie dunkle Riesen, die im Wind ihr Klagelied stöhnten und der Wind fuhr ihnen in die Mähnen und das Fell. Doch sie hatten Glück. Mammut führte sie mit seinem guten Orientierungssinn durch das unbekannte Land und als sie das erste Mal nicht mehr sicher waren in welcher Richtung das Dorf lag, konnte Degusa mit ihren guten Ohren das Schlagen der Kirchenglocken hören und sie entschieden in diese Richtung weiterzumarschieren. Beim zweiten Mal kam Linchen der untrügliche Duft von Zimtsternen in die Nase und sie liefen diesem Geruch hinterher bis auch dieser wieder in der dunklen Nacht verschwunden war. Nach einiger Zeit waren sie auf einer Lichtung angekommen und Mammut blieb stehen.

„Ich weiß nicht wie es von hier aus weiter geht.“, sprach Mammut und blickte dabei um sich. Er hoffte doch noch irgendetwas zu erkennen, das ihm bekannt vorkam. Eine Baumgruppe, eine Anhöhe, ein markanter Felsen. Ist er nicht einmal links an diesem Hügel vorbeigetrabt? Stellte er sich selbst die Frage ohne sie laut auszusprechen. Er schüttelte den Kopf. Nein. Er war sich einfach nicht mehr sicher.

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Auf drei wird um Hilfe gewiehert

Plätzchen drehte sich zu Linchen um: „Hast du etwas in der Nase, das uns weiterhilft?“

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Linchen hob den Kopf und weitete die Nüstern. Doch sie roch nichts außer Schnee und Kälte. Keine Zimtsterne, keine gebrannten Mandeln, keine Orangen oder Äpfel. Nichts was auf Zweibeiner hindeuten würde. Sie schüttelte den Kopf.

„Nichts!“, sagte sie.

„Hörst du etwas Degusa?“, fragte Plätzchen und blickte den Schimmel nervös an. Wenn auch Degusa nichts hören konnte, dann wurde es gefährlich. Nicht nur für Franz, sondern auch für sie selbst. Degusas Ohren drehten sich in alle Richtungen, doch außer dem Pfeifen des Windes war nichts zu hören. Selbst die Waldbewohner hatten sich in ihre sicheren Unterschlüpfe verkrochen. Kein Vogel, kein Fuchs, Hase oder Dachs war zu hören, geschweige denn zu sehen, die sie nach dem Weg fragen konnten. Sie hatten sich verirrt. Standen schutzlos auf der freien Fläche und es begann sich bereits kleine Schneewehen am Schlitten zu bilden. Plätzchen dachte angestrengt nach. Was sollten sie jetzt tun?

„Wenn wir uns selber nicht mehr helfen können, müssen wir um Hilfe rufen. Denn wenn wir jetzt in die falsche Richtung gehen werden wir in dieser Kälte erfrieren.“, sagte Plätzchen.

„Und das an Weihnachten.“, schluchzte Linchen.

„So ein Blödsinn!“, sagte Degusa, „Wer soll uns denn hier draußen hören?“

„Was schlägst du vor Degusa?“, fragte Plätzchen und Degusa schaute zu Boden.

„Ich weiß nicht.“, sagte sie und Plätzchen sprach weiter.

„Wir rufen alle auf einmal um Hilfe. So laut wie wir können. Wir müssen es probieren.“

Sie stellten sich alle nebeneinander und wieherte um Hilfe, so laut sie konnten. Doch es kam nichts.

„Ich wusste es!“, moserte Degusa und Linchen seufzte das traurigste Seufzen das Plätzchen je gehört hatte. Plätzchen war am Ende. Auch er wusste keinen Rat mehr. Da meldete sich Mammut.

„Also für einmal Wiehern habe ich noch Luft.“, sagte er und stupste Plätzchen an.

Plätzchen zwinkerte zurück und aus irgendeinem Grund machte sich Hoffnung in ihm breit.

„Ihr habt Mammut gehört. Einmal noch! Wiehert so laut ihr könnt. Wir müssen alles geben.“

Und sie wieherten so laut sie konnten in den Himmel und diesmal machte auch Meicka mit und jaulte wie sie noch nie gejault hatte. Als sie aufgehört hatten blickten sie weiter in den Himmel. Erst geschah nichts. Doch dann konnten sie ihren Augen nicht trauen. Am Himmel erschien ein Stern. So hell und funkelnd, dass er sogar durch die dunklen Wolken gut zu erkennen war. Es schien als ob er sie grüßen wollte, denn er wackelte fröhlich hin und her und sein warmes Licht pulsierte wie ein Herzschlag. Kraft und Wärme machte sich bei den fünf Gefährten breit und die Zuversicht glimmte in ihnen auf. Erst ganz klein, doch sie wuchs mit jeder Sekunde. Es waren keine Worte nötig. Jeder von ihnen wusste, dass sie diesem Zeichen der Hoffnung, diesem Stern folgen mussten. Es war als ob es jedem von ihnen ins Ohr geflüstert wurde durchzuhalten und die Hoffnung nicht aufzugeben. Sie folgten dem Stern und alle hatten das Gefühl, dass ihnen jeder Schritt keine Kraft kostete, sondern ihnen Kraft und Zuversicht gegeben wurde. Sie wussten, dass es richtig war.

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Endlich am Ziel

Paul Oberwiesner kam gerade aus dem Gasthaus gelaufen. Sie hatten eine wirklich schöne Weihnachtsfeier im Gasthaus zur Wiesen. Es wurde gesungen, gelacht, musiziert und auch so manch guter Tropfen genossen. So war er auch schon etwas angetrunken als er hier nach draußen in der Kälte kam um die eisige, aber frische Luft zu genießen. Die Stimmen waren nur gedämpft zu hören durch die beschlagenen Scheiben und das Licht verlor sich nach wenigen Metern. Der Gasthof war wunderschön und gelegen am Rande des Dorfes direkt neben dem Wald. Er wunderte sich. Was war das für ein helles Licht über ihn? Er drehte den Kopf nach oben und es erlosch in einem Wimpernschlag am Himmel als ob es niemals da gewesen wäre. Er schüttelte den Kopf und wollte wieder ins Haus gehen als er verdutzt stehen blieb. Was war das am Waldrand? Waren das Pferde? Und ein Hund? Neben einem Schlitten? Die fünf dunklen Gestalten standen da und bewegten sich nicht. Er rieb sich die Augen und schaute wieder auf. Die Pferde waren verschwunden, doch der Schlitten und der Hund waren immer noch da. Lag da nicht einer drauf? Er setzte sich in Bewegung um sich das genauer anzusehen. War das nicht Franz? Der Stallmeister vom Steinle Hof? Und Meicka seine Hündin?

Plätzchen, Linchen, Mammut und Degusa hatten sich im Wald versteckt und sahen aus sicherer Entfernung das Spektakel an. Erst war nur ein Mensch bei Franz. Dann ganz viele und dann kam sogar so ein Wagen mit roten und blauen Lichtern am Dach in den Franz eingeladen wurde. Meicka war in eine dicke Decke gehüllt und kaute auf einer Wurst. Sie machten unbemerkt kehrt Richtung Stall und wussten, dass alles gut werden würde, denn eine leise kindliche Stimme hatte es ihnen ins Ohr geflüstert.

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Alle Teile der Weihnachtsgeschichte

Als die Pferde den Stall verließen – Teil 1

Als die Pferde den Stall verließen – Teil 2

Als die Pferde den Stall verließen – Teil 3


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