Eine Weihnachtsgeschichte – von Björn


Weihnachten im Pferdestall

„Hoffentlich hört es bald auf zu schneien“, schnaubte Plätzchen besorgt.

Der braune Hannoveraner Wallach hatte gerade seinen Kopf aus dem Fenster gestreckt und sofort hatte sich ein kleines Schneehäubchen auf seine Nüstern gelegt. Mit einem energischen Kopfschütteln verschwand die weiße Pracht auf dem Stallboden. Dort blieb es liegen wie ein Häufchen Zucker und dachte gar nicht daran zu tauen, denn es war wirklich bitter kalt.

„Meinst du sie haben uns vergessen?“, fragte Linea, das Pony aus der Nachbarbox besorgt, das aber von allen nur liebevoll Linchen genannt wurde.

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„Wie kommst du denn darauf?“, fragte Plätzchen zurück und sah wie Linchen etwas verlegen im Stroh scharrte. Wohl eher aus Verlegenheit als aus dem Grund dort etwas interessantes zu finden.

„Naja… Heute ist Weihnachten und noch keiner unserer Menschenfreunde hat heute mal vorbei geschaut. Kein einziger!“

Bei den letzten Worten hatte Linchen den Kopf gehoben und Plätzchen aus ihren großen runden Augen angeschaut. Es waren eben diese Augen mit denen Linchen jedes Menschenkind um seine Karotten bringen konnte. Denn welcher Zweibeiner konnte diesen Augen zusammen mit einem kleinen Nasenstupser schon widerstehen? Eine Technik die Linchen bis zur Perfektion gebracht hatte. Der Erfolg ließ sich an ihrem Bäuchlein ablesen, der kugelrund nach unten hing und immer fröhlich mitwackelte, wenn Linchen lachte, als ob er mitlachen wollte. Und Linchen lachte gerne und oft. Aber nicht heute. Das hatte auch Plätzchen bemerkt und um sie zu trösten, steckte er seine Nase so tief durch das Gitter, welches die Boxen trennte, bis es weh tat. Linchen hob den Kopf und ihre Nüstern berührten sich. Und tatsächlich ging es Linchen ein bisschen besser. Auf Plätzchen war eben Verlass.

„Nein, das glaub ich nicht“, wieherte Plätzchen. „Schau doch der viel Schnee. Sie können nicht kommen. Selbst wenn sie wollten. Selbst Mammut würde in diesen Schneewehen stecken bleiben.“

Mammut war ein echtes Kaltblut. Hufe so groß wie Teller und Kraft wie fünf Bären. Er hatte früher zu Werbezwecken für eine Brauerei auf Jahrmärkten und Festen die Kutsche gezogen. Hinter seiner gewaltigen Erscheinung hätten sich beide, Plätzchen und Linchen, mühelos verstecken können. Dafür war Mammut nicht der entscheidungsfreudigste. Degusa, die weiße Araberstute, hielt Mammut für etwas langsam im Kopf. Plätzchen fand eher, dass er sehr besonnen war. Und das war ein riesiger Unterschied.

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Von den Blechkisten der Menschen

Mammut hatte die andere Box neben Plätzchen. Es war die größte und schönste Box im ganzen Stall. Und die hatte sich Mammut nach all den Jahren harter Arbeit auch verdient, dass bezweifelte noch nicht einmal Degusa, die sonst immer meinte etwas besseres zu sein. Manchmal, wenn sie draußen auf der Weide standen und der Wind durch ihre Mähnen pfiff, wie eine grobe Wurzelbürste, erzählte Mammut von seiner Zeit auf den Jahrmärkten. Dann versammelten sich die Pferde um ihn im Halbkreis und hörten gebannt zu. Besonders Linchen stand dann immer mit ihren großen Augen und offenem Maul vor dem gutmütigen Riesen. Keines der anderen Pferde im Stall war jemals so weit herum gekommen wie Mammut. Degusa stand dann etwas abseits, graste und tat wie immer so als ob es sie nicht interessierte was der grobschlächtige Kaltblüter zu erzählen hatte. Plätzchen war es aber schon aufgefallen, dass ihre Ohren auffällig häufig Richtung Mammut gedreht waren. Manche Pferde können einfach nicht aus ihrem Fell, dachte sich Plätzchen dann und grinste in sich hinein.

„Bei diesem Wetter haben diese lächerlichen Autos der Menschen, keine Chance. Ich erinnere mich noch als ich einmal mehrere dieser Blechkisten aus dem Graben ziehen musste und da war noch viel weniger Schnee gefallen als jetzt. Ohne ihre glatten Steinwege sind diese Menschen hilflos wie Fohlen“. Das war Mammut.

Sein tiefes Wiehern ließ den Schnee auf dem blechernen Fenstersims beben. Er stand in seinem Paddock und sein schwarzes Fell fing an mit der Dunkelheit zu verschwimmen, die sich hinter dem Stall ausbreitete. Das sich auf seinem breiten Rücken bereits eine respektable Schneelandschaft gebildet hatte schien ihn nicht zu stören, oder er hatte es noch gar nicht bemerkt, so gedankenverloren wie er in das wilde Spiel der unzählbaren Schneeflocken blickte. Oft sprach er abwertend über die Menschen. Er hatte wohl auch viel Leid durch sie erfahren. Genaueres wusste keiner im Stall. Mammut sprach nicht über dieses Thema und kein Pferd wagte es zu fragen. Vielleicht aus der Angst heraus Dinge über ihre Menschen zu hören, die sie vielleicht gar nicht hören wollten. Eigentlich bedeuteten Mammut auf der ganzen Welt nur zwei Menschen wirklich etwas. Caro, die junge, blonde Menschenfrau, die ihn damals der Brauerei abgekauft hatte und Franz, der Stallwirt.

„Hast du gehört was Mammut gesagt hat?“, wieherte Plätzchen Linchen zu. „Unsere Menschenfreunde können nicht kommen, weil ihre Blechkisten nicht für so ein Wetter gemacht sind. Und du kannst doch nicht allen Ernstes erwarten, dass sie die Strecke bei dem Schnee mit ihren beiden dünnen Beinchen schaffen. Niemals!“

Plätzchen hatte beim letzten Wort den Kopf nach oben gerissen, seine Zähne gezeigt und wiehernd gelacht. Allein der Gedanke daran, wie sich ein Mensch durch diese Schneemassen kämpfte, wirkte für ihn urkomisch. Vielleicht konnten sie schnelle Blechkutschen bauen, aber auf sich alleine gestellt, watscheln ihre Menschenfreunde doch eher wie in Zeitlupe über die Wiese. Einmal waren sein Zweibeiner und er an einem Teich vorbei geritten und Plätzchen hatte die Enten am Ufer beobachtet. Das Watscheln der Enten hatte ihn doch sehr an den Gang der Menschen erinnert. Plätzchen machte sich manchmal den Spaß, wenn sein Menschenfreund über die Koppel gewackelt kam um ihn anzuhalftern, solange zu warten bis er ihn fast erreicht hatte. Dann sprang er schnell zur Seite und lief zur anderen Koppelecke, nur um seinen Mensch wieder über die Wiese watscheln zu sehen. Eine Mordsgaudi! Irgendwann ließ er sich dann aber doch anhalftern, denn ärgern unter Freunden ist erlaubt, aber nur ein bisschen.

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Franz, der Stallwirt

Gerade als Linchen etwas erwidern wollte kam Franz, der Stallwirt in die Stallgasse. Er hatte seinen Arm um den Griff eines großen Korbes geschlungen, an dem eine rote große Schleife befestigt war. Linchen hob den Kopf und nahm Witterung auf.

„Möhren und Äpfel“, sagte sie und war sichtlich stolz, dass sie den Inhalt des Korbes bereits errochen hatte.

Linchen hatte ein feines Näschen und da konnte ihr auch kein anderes Pferd im Stall etwas vormachen. Auch diese Fähigkeit hatte ihr zur ihrem stolzen Bäuchlein verholfen, denn es war von unschätzbaren Vorteil zu wissen, was die Zweibeiner, wohl in ihren Taschen verstaut hatten. Oft vergaßen sie es selber und mussten dann mit einem gezielten Stupser an die richtige Tasche daran erinnert werden. Bei besonders begriffsstutzigen Menschen waren auch schon mal ein paar mehr Stupser notwendig, aber Linchen war ja ein geduldiges Pony. Franz war inzwischen bei ihren Boxen angekommen und legte jedem eine Möhre und einen Apfel in den Futtertrog.

„Wenn euch ausgerechnet heute keiner besuchen kann, dann bekommt ihr wenigstens von mir euer Weihnachtsgeschenk.“, sagte Franz und alle Pferde der Stallgasse standen an ihren Boxentüren und schauten ihn mit großen Augen an.

Ein Zweibeiner hätte wohl fälschlicherweise angenommen, dass sie auf das Futter warteten, aber in Wirklichkeit freuten sie sich einfach Franz zu sehen. Den besten Stallwirt auf der Welt und manchen Pferden genauso lieb wie ihr persönlicher Zweibeiner. Er verteilte noch seine Weihnachtsgeschenke bis alle Pferde versorgt waren. Ein Apfel war übrig geblieben. Er schaute sich kurz fragend um, welchem Pferd er diesen letzten Apfel geben sollte. Sein Blick ging die Stallgasse entlang und traf den von Linchen. Er lachte und ging in ihre Richtung, blieb kurz vorher stehen und legte den letzten Apfel in Mammuts Schale. Er kraulte noch kurz durch die Mähne des Kaltblüters, der diese menschliche Berührung sichtlich genoss.

„Nächstes Mal bekommst du ihn wieder Linchen“, sagte er, zwinkerte ihr im Vorbeigehen zu und verließ die Stallgasse. Linchen war empört und Mammuts Schmatzen machte es auch nicht besser. Frechheit!

„Du kannst meine haben. Der Apfel ist mehlig und die Karotte zu trocken. Ich mag ja Franz, aber warum tut er uns so etwas als Weihnachtsgeschenk an?“, sagte Degusa, die in der Box gegenüber von Plätzchen stand.

Linchen wieherte empört. Plätzchen gab ihr einen bösen Blick und Mammut hatte schon vor langem aufgehört ihr Beachtung zu schenken. Manchmal gab es gute Tage mit ihr und manchmal schlechte. Heute war definitiv ein schlechter Tag. Ob es daran lag, dass ihr Zweibeiner nicht gekommen war blieb jedoch ihr Geheimnis. Genau in diesem Moment ertönte ein scharfes Bellen. Alle Pferde spitzen die Ohren und schauten zum Eingang der Stallgasse. Meicka der Stallhund kam um die Ecke geflitzt, stieß einen Eimer um, der unter lautem Poltern seinen Inhalt in die Stallgasse entlud und riss eine Abschwitzdecke vom Haken.

„Franz ist gestürzt und bewegt sich nicht mehr. Ich hab alles versucht. An ihm gezogen, ihn angebellt und ihm das Gesicht abgeschleckt. Aber er rührt sich nicht.“, bellte Meicka völlig außer Atem in die Stallgasse. Von einem Moment auf den anderen war es mucksmäuschen still und nur ihr aufgeregtes Keuchen war zu hören. Alle Köpfe und Ohren waren auf sie gerichtet.

„Er liegt draußen im Schnee, in der Kälte. Er darf da nicht liegen bleiben. Er ist zu schwer, ich schaff es nicht alleine ihn in den Stall zu ziehen!“apple-801042_1920

Alle Teile der Weihnachtsgeschichte

Als die Pferde den Stall verließen – Teil 1

Als die Pferde den Stall verließen – Teil 2

Als die Pferde den Stall verließen – Teil 3


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