Zu Beginn einer Trainingseinheit oder Reitstunde musst du dein Pferd aufwärmen. Ähnlich wie du es handhabst, wenn du Sport machst. Ja ich weiß, als Reiter haben wir eigentlich gar keine Zeit für andere Sportarten, aber theoretisch würdest du dich aufwärmen. Das Aufwärmen eines Pferdes erfolgt im Schritt und dauert 20 Minuten. Das bedeutet, dass du zu Beginn einer Reiteinheit zunächst einmal 20 Minuten Schritt reiten musst. Wie sieht richtiges Schrittreiten aus? Ist das überhaupt gut für den Rücken deines Pferdes? Und warum müssen es überhaupt 20 Minuten sein? Um diese und weitere Fragen geht es in diesem Beitrag.

Warum müssen wir unser Pferd eigentlich 20 Minuten im Schritt aufwärmen?

Ganz einfach: Um Verletzungen vorzubeugen. Vielleicht denkst du jetzt, ach das ist doch alles Quatsch, ich kenne kein Pferd, welches sich durch zu wenig Aufwärmen verletzt hat. Es geht auch nicht um akute oder direkt sichtbare Verletzungen. Vielmehr geht es um sogenannte Mikroläsionen, kleine Verletzungen, die der Reiter nicht bemerkt. Mit jedem Training in dem du die Aufwärmphase zu kurz gestaltest, können diese kleinen Verletzungen zunehmen und irgendwann sind es sichtbare Schäden.

Ausreichendes Aufwärmen schützt dein Pferd vor Verletzungen und Lahmheiten. Es erhöht sich die Körpertemperatur, die Durchblutung nimmt zu und der Pferdekörper wird durch die gesteigerte Atmung mit mehr Sauerstoff versorgt. Erst nach 20 Minuten sind die Muskeln, Sehnen, Bänder und die Gelenke aufgewärmt. Durch die Bewegung wird die Gelenkschmiere, die sogenannte Synovia, verteilt. Die Gelenkschmiere ist eine zähe Flüssigkeit und deswegen benötigt es seine Zeit bis sie überall verteilt ist. Der Gelenkknorpel saugt sich damit voll und dient als Stoßdämpfer. Auch Muskeln müssen warm sein, da sie sich im kalten Zustand nicht gut dehnen. Wird ein kalter Muskel gedehnt, kann das dazu führen, dass Muskelfasern reißen.

Die Aufwärmphase hat übrigens auch noch einen anderen Effekt auf dein Pferd. Beim Aufwärmen werden Endorphine ausgeschüttet, die dafür sorgen, dass dein Pferd überhaupt in den Sportmodus kommt. Das kennst du vielleicht auch von dir selbst. Es gibt Tage da würdest du lieber auf deinem Sofa liegenbleiben und du musst dich richtig aufraffen zum Sport machen. Wenn du aber mal angefangen hast, dann steigt deine Motivation. Schuld daran sind auch bei dir die Endorphine, die dich in den Sportmodus bringen. Gestaltest du die Aufwärmphase für dein Pferd zu kurz, dann bedeutet das Stress für dein Pferd und die Leistungsbereitschaft sinkt.

Das macht doch gar keinen Sinn für das Fluchttier Pferd?

Immerhin steht das Pferd ja nicht auf der Wiese und wiehert zum Tiger: „Warte noch kurz. Ich flüchte gleich. Ich muss mich vorher noch 20 Minuten im Schritt aufwärmen. Wenn das in Ordnung ist, dann laufe ich einfach im Schritt um dich herum.“

Was du bei dieser Anekdote nicht vergessen darfst: Ein Pferd in freier Natur ist den ganzen Tag mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt und legt dabei sehr viele Kilometer zurück. Tritt nun eine Gefahr ein und das Pferd muss flüchten, dann ist das in der Regel kein „Kaltstart“. Noch dazu kommt, dass auf dem Pferd nicht auch noch ein Reiter sitzt, der den Bewegungsapparat des Pferdes beansprucht. Unsere Pferde heute leben aber nicht in der freien Natur und nur die wenigsten Pferde sind wirklich permanent in Bewegung.

Diese 20 Minuten Aufwärmen gelten aber nur für Boxenpferde, oder?

Tatsächlich hat die Haltung einen minimalen Effekt auf die Länge der Aufwärmphase. Denn natürlich bewegt sich ein Pferd im Offenstall oder in Weidehaltung deutlich mehr als ein Boxenpferd. Aber auch Offenstallpferde müssen zunächst zum Reiten vorbereitet werden. Dabei steht das Pferd in der Regel angebunden am Putzplatz. Das bedeutet, selbst wenn es vorher nicht nur an der Heuraufe rumstand, sondern im Offenstall herumgelaufen ist, dann bewegt es sich unmittelbar vor dem Reiten nicht. Es spielt also keine nennenswerte Rolle wie dein Pferd wohnt, aufwärmen ist Pflicht.

Es gibt noch einen weiteren Grund, weshalb alle Pferde gleichermaßen aufgewärmt werden müssen. Im Offenstall oder auf der Weide befindet sich dein Pferd im Freizeitmodus. Es kann fressen oder chillen, auf jeden Fall das tun, worauf es gerade Lust hat. Erst durch das Aufwärmen und die damit verbundene Ausschüttung der Endorphine, wird dein Pferd in den Sportmodus kommen.

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Wie sieht richtiges Schrittreiten zum Aufwärmen NICHT aus?

Fangen wir mal damit an wie Schrittreiten nicht aussehen soll: Dein Pferd latscht am langen Zügel Runde für Runde während du mit deiner Freundin den neusten Stalltratsch austauschst. Das ist vielleicht für dich spannend, aber für dein Pferd maximal langweilig und wenig gymnastizierend.

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Der Bauch deines Pferdes schwingt bei jedem Schritt von links nach rechts. Dadurch bewegt sich auch die Wirbelsäule und somit der Pferderücken. Der Gegenspieler der Rückenmuskulatur ist – wie bei uns Menschen – die Bauchmuskulatur. Diese ist im Schritt aufgrund der fehlenden Spannung am wenigsten gefordert, was dazu führt, dass der Pferderücken sich nicht aufwölbt, sondern nach unten durchhängt. Und dann auch noch mit deinem Reitergewicht obendrauf.

Ist Schrittreiten dann überhaupt gut für den Pferderücken?

Die Antwort ist wie so oft: Es kommt drauf an. Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen ein Pferd 20 Minuten im Schritt zu reiten, wenn es gesund und trainiert ist. Denn seien wir mal ehrlich, wäre Schrittreiten so fatal für den Pferderücken wie es hin und wieder dargestellt wird, dann wären Ausritte mit langen Schrittphasen nicht möglich.

Zur Gesunderhaltung deines Pferdes musst du natürlich darauf achten, dass du nicht nur am langen Zügel im Schritt durchs Gelände reitest. Ein gesundes Pferd muss auch im Trab und Galopp trainiert werden. In diesen, aufgrund der Schwebephase, sogenannten schwungvollen Gangarten ist die Bauchmuskulatur gefordert. Ist die Hinterhand dabei aktiv und tritt dein Pferd unter den Schwerpunkt, wölbt sich der Rücken auf. Dafür verantwortlich ist der lange Rückenmuskel.

Wenn du dich auf dein Pferd setzt, dann spannt dein Pferd den langen Rückenmuskel an um dich „tragen“ zu können. Der lange Rückenmuskel ist allerdings kein Tragemuskel, sondern ein Bewegungsmuskel. Er kümmert sich darum, dass die Energie aus der Hinterhand in eine Vorwärtsbewegung übertragen wird.

So weit zu gesunden und trainierten Pferden. Denn natürlich gibt es auch Pferde für die Schrittreiten nicht gut ist. Das sind beispielsweise Pferde mit muskulären Defiziten oder schlechtem Rumpftrageapparat. Diese Pferde sollten immer an der Hand aufgewärmt werden und nicht durch Schrittreiten.

Wie sieht gutes Schrittreiten aus?

Wenn du dein Pferd zu Beginn einer Trainingseinheit im Schritt aufwärmst, dann lass es nicht Runde für Runde im Kreis schlurfen. Reite lediglich ein paar Minuten am durchhängenden Zügel. Achte auf einen zwanglosen, schreitenden Schritt im Viertakt.

Zum Weiterlesen: So erkennst du, ob du einen guten Schritt reitest

Um die Bauchmuskeln zu aktivieren solltest du das Rückwärtsrichten und Seitengänge wie Schulterherein, Travers oder Renvers hinzunehmen. Bedenke aber das diese Übungen bereits versammelnden Charakter haben und dein Pferd schon ein bisschen aufgewärmt sein muss, bevor du diese Übungen verlangst. Reite außerdem nicht eine ganze lange Seite im Schulterherein, sondern fordere die Übung nur über einige Schritte. Das reicht vollkommen aus um die Bauchmuskulatur zu aktivieren. Insbesondere die Seitengänge werden häufig erst im fortgeschrittenen Verlauf der Ausbildung von Reiter und Pferd gelehrt. Dabei sind diese im Schritt kein Hexenwerk und eine hervorragende Möglichkeit dein Pferd bereits in der Schrittphase zu gymnastizierenden.

Zum Weiterlesen: Ohne Ziehen zum korrekten Rückwärtsrichten

Für ein gutes Schrittreiten ist außerdem ein guter Reitersitz notwendig. Als Reiter musst du losgelassen und zwanglos im Sattel sitzen. Denn nur dann ist es möglich, dass du in deinem Becken beweglich bist und in der Bewegung mitgehen kannst – ohne dein Pferd zu stören. Gehörst du zu den Reitern, die viel im Sitzen arbeiten, dann solltest du dein Pferd besser an der Hand aufwärmen. Dadurch lockerst du auch deine eigene Muskulatur und sitzt nicht steif und unbeweglich auf deinem Pferd.

Fazit: Wie sieht die ideale Aufwärmphase für ein Pferd aus?

Pferde mit Defiziten im Rückenbereich oder Rumpftrageapparat müssen immer vom Boden aus aufgewärmt werden. Für alle anderen Pferde gilt: 20 Minuten Schritt zum Aufwärmen, aber bitte abwechslungsreich.

Wie ich dir in diesem Beitrag erörtert habe ist Schrittreiten für ein gesundes Pferd nicht völlig fatal, aber eben auch nicht die ideale Gangart. Deswegen empfehle ich dir, die Schrittphase zum Aufwärmen abwechslungsreich zu gestalten. So kannst du beispielsweise Boden- oder Handarbeit machen, dein Pferd im Schritt über Stangen treten lassen, kleine Geschicklichkeitsaufgaben einbauen oder einen Spaziergang ins Gelände machen. Der große Vorteil daran ist: Du wärmst dich gleich mit auf.

Wenn du dich entscheidest dein Pferd im Schritt warmzureiten, dann lass es nicht einfach nur am langen Zügel durch die Bahn bummeln, sondern beherzige die obengenannten Tipps. Und vergiss nicht, dass es auch Kompromisse gibt: 10 min Aufwärmen am Boden und 10 min Schrittreiten.


 

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